Digitale Lerntrends 2024: Trends und Tücken
Neue Technologien sind gekommen, um zu bleiben
Die Die Bedeutung von Large Language Models (LLMs) wie ChatGPT wird in den nächsten drei Jahren stark zunehmen. Fast alle im aktuellen Trendmonitor „Learning Delphi“ des mmb-Instituts befragten E-Learning-Expertinnen (90 %) gehen davon aus, dass LLMs für Lehrende, Lernende und Bildungsanbieter wie selbstverständlich eingesetzt werden. Im Fokus stehen Anwendungsszenarien wie die automatisierte Vergabe von Metadaten für Lerninhalte, die Unterstützung bei der Erstellung von Lerninhalten und Prüfungsaufgaben durch Lehrende sowie die Produktion von weiterem Content durch Bildungsanbieter. Lehrende können damit Routineaufgaben auslagern und sich stärker auf ihre Rolle als Lerncoaches konzentrieren – 82 % der Expertinnen teilen diese Einschätzung. Auch für Präsenzanbieter bieten LLMs die Chance, Prozesse zu optimieren, Lernende intensiver zu begleiten und Lehrende bei der Vorbereitung zu entlasten.
Bewährte digitale Lernformate bleiben führend, reine Online-Lösungen verlieren an Bedeutung
Nach Einschätzung der Befragten Expert*innen bleiben klassische Formate wie Blended Learning (89 %), Video-Tutorials (85 %) und Micro-Learnings (85 %) die stärksten Pfeiler der digitalen beruflichen Weiterbildung. Reine Online-Formate wie Virtuelle Klassenräume und Webinare verlieren hingegen an Zustimmung (75 %, Vorjahr 86 %). Auch Lernangebote auf Social Media (54 %, Vorjahr 60 %) oder als Podcasts (41 %, Vorjahr 57 %) werden als in geringerem Maße als relevante Lernform gesehen. Die Tendenz geht zu hybriden Modellen, die die Vorteile von Präsenz- und Online-Lernen vereinen. Auch Präsenzanbieter können z.B. mit flipped classroom Formaten an diesem Trend teilhaben und hybride Lernkonzepte entwickeln, die den Bedürfnissen verschiedener Zielgruppen gerecht werden. Micro-Learnings lassen sich ebenfalls gut z.B. in projektorientierte, individualisierte Lerneinheiten integrieren. Auch den Trend zu dialogischen KI-Anwendungen wie Chatbots können alle Bildungsanbieter – egal ob mit Fokus auf Präsenz oder Online-Unterricht – bereits jetzt aufgreifen.
Zukunftstrends: Wo sich Investitionen lohnen
Der Blick der Expertinnen auf die Leistungsfähigkeit der aktuellen technologischen Trends ist differenziert: Chatbots haben durch LLMs einen Sprung nach vorn gemacht, 79 % der Expertinnen sehen sie als zentrale Lernform. Adaptive Learning, oft mit KI-gestützten Empfehlungssystemen verbunden, verliert jedoch an Zustimmung (73 %, Vorjahr 83 %), weil die Systeme offenbar hinsichtlich der Individualisierung noch nicht überzeugen können. Auch Virtual-Reality-Anwendungen (VR) sehen nur wenige (30 %) der digitalen Lernexpert*innen als zukünftige Kerntechnologie.
Geschäftsmodelle im Wandel – Chancen für Präsenzanbieter
Blended Learning hat sich erneut als wirtschaftlich erfolgreichstes Format etabliert (77 %, Vorjahr 69 %). Reine Online-Formate wie Webinare (54 %) oder Podcasts (12 %) verlieren hingegen an kommerzieller Bedeutung. Auch mit “Social Media” (14%, Vorjahr 23%) oder Podcasts (12%, Vorjahr 28%) lässt sich kaum Geld verdienen. Doch eine Entwicklung ist auch für traditionelle Präsenzanbieter von besonderem Interesse: Beratungsdienstleistungen hinsichtlich Lerninhalten und sogar hinsichtlich Weiterbildungsstrategien für die Kunden werden inzwischen als drittwichtigstes Geschäftsfeld genannt. Auf diesen Trend, Lerninhalte mit strategischer Beratung zu verknüpfen, können auch Präsenzbildungsanbieter mit Firmenkundengeschäft aufspringen. Offensichtlich sind die Weiterbildungskunden immer mehr bereit, für agile Lerninhalte und kluge Personalentwicklungskonzepte auch Geld auszugeben.
Welche Inhalte in Zukunft gefragt sind
Kaum überraschend steigt die Nachfrage nach Soft Skills wie Medienkompetenz, kritischem Denken und kreativen Problemlösen weiter. Dies entspricht dem allgemeinen, auch im Recruiting zu findenden Trend, dass Soft Skills gegenüber fachbezogenen Inhalten eine Aufwertung erfahren. Das Lernthema Künstliche Intelligenz hat massiv an Bedeutung gewonnen und wird in 2024 fast so wichtig eingeschätzt wie das Top-Thema Future Skills (1,7 gegenüber 1,6 auf der Prioritätsskala). Auch hier können Präsenzanbieter diese Inhalte prominenter in ihre Programme integrieren und stärker nach außen tragen.
Vorsicht vor Nebenwirkungen: Deskilling durch KI?
KI-gestützte Chatbots müssen im Lehr-/Lernsetting aber sinnvoll eingesetzt werden, um am Ende auch einen positiven Lerneffekt erzielen zu können. Denn ein potenzielles Risiko ihres Einsatzes bleibt: der sogenannte „Deskilling-Effekt“. 44 % der vom mmb-Institut Befragten befürchten, dass Lernende durch KI unterstützte Lösungen Kompetenzen nicht vollständig erlernen oder verlernen. Aktuelle Studien zeigen, dass diese Minderheit der Expert*innen mit ihrer Sorge richtig liegen könnte.
Eine Studie der University of Pennsylvania zum Einfluss von OpenAIs ChatGPT auf das Erlernen neuer mathematischer Kompetenzen im Highschool-Kontext kommt in Übereinstimmung mit anderen Studien zu dem Ergebnis: Die Nutzung von ChatGPT im Zusammenhang mit der Lösung praktischer Aufgaben im Unterricht führt zu einer deutlichen Verbesserung der Ergebnisse im Vergleich zu einer Kontrollgruppe, welche dieselben Aufgaben ohne ChatGPT lösen musste – zum Teil waren die Ergebnisse mehr als doppelt so gut! In einer zweiten Phase mussten dieselben fast 1.000 Highschool-Schüler*innen in der Studie einen Test über das zuvor Gelernte absolvieren. Bei diesem Test hatte allerdings niemand Zugriff auf ChatGPT. Das Ergebnis hier: Die Gruppe, die im Unterricht ChatGPT ohne besondere Voreinstellungen genutzt hatte, erzielte um 17% schlechtere Ergebnisse als die Kontrollgruppe, welche schon im Unterricht ohne ChatGPT auskommen musste.
ChatGPT ohne didaktische Voreinstellung schadet dem Lernen
Die Studie erklärt dies damit, dass hier ChatGPT im Unterricht als eine Art „Krücke“ genutzt wurde, um schnell zu Lösungen zu kommen. Dabei blieb die vollständige Durchdringung des Unterrichtsstoffs auf der Strecke. Man kann hier also klar von einem Deskilling-Effekt bzw. von einer Verschlechterung des Lernerfolgs durch die ungesteuerte Nutzung von ChatGPT sprechen! Es gab in der Studie aber noch eine weitere Gruppe, welche im Unterricht eine speziell voreingestellte Version von ChatGPT nutzte. Diese gab ähnlich einem Tutor keine Lösungen, sondern lediglich schrittweise Hinweise und forderte zur Mitteilung der eigenen Lösungsideen auf. Doch auch mit diesem tutoriell voreingestellten ChatGPT erzielte diese Gruppe im Test nur Ergebnisse auf dem Niveau der Kontrollgruppe, die zu keiner Zeit ChatGPT im Unterricht genutzt hatte.
Es braucht eine spezielle Chatbot-Didaktik
Während die Nutzung von ChatGPT und ähnlichen Tools zwar die Performance deutlich verbessern kann und die Skill-Gap zwischen „Könnern“ und „schwächeren Lernern“ scheinbar schließt, kann sie faktisch den Lernerfolg mindern und damit langfristig dem Lernen und der Kompetenzentwicklung schaden. Entscheidend ist, wie andere Studien belegen, dass KI gestützte Chatbots gezielt dialogisch eingesetzt werden und die Eigenverantwortung der Lernenden fördern. Es braucht also tatsächlich eine gezielte Chatbot-Didaktik, mit der KI als Ergänzung, nicht als Ersatz in Lernprozesse integriert wird.
Eine weitere Zusammenfassung mit Schlaglichtern für die Weiterbildungsbranche können Sie hier zum Nationalen Bildungsbericht 2024 lesen.