Welchen Stellenwert hat Weiterbildung?

Ein aktueller Studienvergleich

In welchem Umfang wird in Deutschland tatsächlich weitergebildet und durch wen? Wie stellen sich Unternehmen 2024 beim Thema Weiterbildung auf? Zu diesen beiden Fragen sind Ende März bzw. Anfang April zwei Studien erschienen: Die TÜV Studie zu „Weiterbildungstrends in deutschen Unternehmen“ und der der AES-Trendbericht “Weiterbildungsverhalten in Deutschland 2022” herausgegeben vom BMBF. Beide Studien behandeln zwar thematisch bedingt unterschiedliche Jahre, dennoch lohnt es, sie gegenüberzustellen.

Rosige Zeiten für die Weiterbildung?

Liest man die auf einer Umfrage unter 500 Personalverantwortlichen basierende TÜV-Studie, scheint im Bereich Weiterbildung alles rosig zu sein:

  • 75% der Unternehmen bieten ihren Mitarbeitenden Weiterbildungen an,
  • 77% gewähren dafür drei oder mehr Tage pro Jahr,
  • 71% investieren verstärkt in die Weiterbildung der Beschäftigten,
  • 51% haben ein Fortbildungsbudget von 500 € bis 2.000 € pro Mitarbeiter.

Laut den Personalverantwortlichen sind vor allem individuell auf Mitarbeitende (94%) oder Abteilungen (70%) zugeschnittene Weiterbildungen in Präsenz (42%) oder als Blended Learning (56%) gefragt. Reine Online-Schulungen scheinen ‘out’ zu sein.
Die am häufigsten genannten Themen sind:

  • branchen- oder berufsfeldrelevante Inhalte (63%)
  • Führungskompetenzen (62%)
  • Digitalskills (58%)
  • technische Kenntnisse (57%) und
  • kommunikative Fähigkeiten (56%).

KI- oder New Work-Themen sind bei Weiterbildungen kaum gefragt

Der Bedarf an Weiterbildungen im Bereich Künstliche Intelligenz (KI) ist dagegen noch sehr überschaubar. Nur 18% der Unternehmen haben bereits Fortbildungen dazu durchgeführt oder konkret geplant. 71% sehen aktuell keinen Bedarf. Auch Fortbildungen zum Themenbereich New Work führen nur 21% der Unternehmen durch, obwohl mehr als zwei Drittel (68%) in der Umsetzung von New Work eine Stärkung für die eigene Wettbewerbsfähigkeit sehen.

Vielsagend sind auch zwei andere Ergebnisse der Umfrage unter den Personalverantwortlichen: 75% der Unternehmen fühlen sich schlecht informiert über die staatliche Förderung von Weiterbildung. Und gleichzeitig sind 77% unzufrieden mit der staatlichen Förderung von Weiterbildung oder hat keine Ahnung zu dem Thema.

Differenzierung tut Not bei der beruflichen Weiterbildung

Im Kontrast zu den rosigen Zahlen stellt der AES-Trendbericht zum Weiterbildungsverhalten fest: 58% der Menschen zw. 18-64 Jahren haben im Jahr 2022 an mind. einer Fortbildung teilgenommen. Diese Zahl wirkt auf den ersten Blick erfreulich hoch – prognostizieren doch geradezu alle Studien und Umfragen einen erhöhten Bedarf an Weiterbildungen, um dem Fachkräftemangel zu begegnen, um mit der Digitalisierung und fortschreitenden Automatisierung Schritt zu halten und um den eigenen Job zu sichern. Auf den zweiten Blick muss man von dieser hohen Quote jedoch Abstriche machen. Leider lassen sich diese Abstriche anhand der Studie nicht exakt festmachen – weder werden sie von den Studienmachern herausgerechnet noch lassen sie sich anhand der publizierten Daten selbst genauer abziehen. Worum geht es?

Weiterbildung ist nicht gleich Weiterbildung

Die Weiterbildungsaktivität ist immer davon abhängig, wie weit oder eng man den Begriff Weiterbildung fasst. „Weiterbildung“ wird im AES-Trendbericht im Sinne des lebenslangen Lernens sehr weit gefasst. Hinzugezählt werden auch Arbeitsplatzschulungen durch Kolleg*innen oder Vorgesetzte¹ und nicht-berufsbezogener Unterricht in der Freizeit wie Yoga-Stunden oder Tennis-Trainings. Nicht hinzugezählt werden dagegen abschlussorientierte Aufstiegsfortbildungen oder reine Selbstlern-Kurse wie z.B. Video-Tutorials oder Web-Based-Trainings. Das kann man so machen – nur muss man dies bei der Bewertung der tatsächlichen Weiterbildungsaktivität berücksichtigen, wenn man wissen möchte, wie es um die berufliche Weiterbildung in Deutschland steht.

Die Schwierigkeit besteht darin, dass man den Anteil, den Privatunterricht in der Freizeit oder interne Arbeitsplatzschulungen an der Weiterbildungsaktivität haben, anhand der publizierten Daten nicht exakt herausrechnen kann. Denn die 58%-ige Weiterbildungsaktivität bezieht sich auf Personen, die mind. ein Mal im Jahr 2022 irgendeine Art von „Weiterbildung“ im Sinne des AES-Trendberichts gemacht haben. Die anderen Angaben z.B. zum Anteil des Privatunterrichts beziehen sich auf Weiterbildungsmaßnahmen. Dadurch kann man z.B. den 15%-igen Anteil des Privatunterrichts an den gesamten Weiterbildungsaktivitäten (=Maßnahmen) nicht einfach von den 58% der weiterbildungsaktiven Personen abziehen. Denn dieselbe Person könnte ja Yoga-Stunden nehmen und eine betriebliche Weiterbildung bei einem Weiterbildungsträger gemacht haben.

Wo in etwa läge die berufliche Weiterbildungsquote?

Nur über einen Umweg kommt man zumindest annäherungsweise zu einer groben Einschätzung der tatsächlichen beruflichen Weiterbildungsaktivität. 77% aller Weiterbildungsaktivitäten waren betriebliche Weiterbildungen. Hinzu kommen noch 7% individuelle, d.h. nicht in irgendeiner Form vom Arbeitgeber unterstützte berufsbezogene Weiterbildungen.² Unter den betrieblichen Weiterbildungen wurden 54% vom eigenen Arbeitgeber angeboten. Dies bedeutet, so lässt sich annehmen, dass es sich hierbei um interne Arbeitsplatzschulungen handelt. Nur 46% dieser betrieblichen Weiterbildungen wurden also von einer anderen Firma oder von Kammern, Innungen oder anderen externen Anbietern durchgeführt. Individuelle berufsbezogene Weiterbildungen wurden nur in 7% der Fälle vom eigenen Arbeitgeber durchgeführt – ein naheliegender Wert. Rechnet man diese internen Arbeitsplatzschulungen und den Privatunterricht aus den Weiterbildungsaktivitäten heraus und berücksichtigt dann, dass durchschnittlich eine Person drei Weiterbildungsaktivitäten im Jahr 2022 absolvietr hat, so kommt man auf eine grob angenäherte berufliche Weiterbildungsquote von 41,5 % – ein noch immer stattlicher Wert für die berufliche Weiterbildung. Nur liegt er doch sehr deutlich unter den Zahlen, welche die Personalverantwortlichen in der TÜV-Studie angeben.

Viele Weiterbildungen sind besonders kurz

Es gibt noch einen weiteren deutlichen Unterschied zur TÜV-Studie. Gewähren dort 77 % der Personalverantwortlichen ihren Mitarbeitenden 3 bis 5 Tage für Weiterbildungen, so haben realiter laut AES-Trendbericht die betrieblichen Weiterbildungen zu 65% eine Dauer von 1-4 oder 5-10 Unterrichtsstunden. Der Trend zu zu immer kürzeren Bildungsmaßnahmen ist schon seit geraumer Zeit bekannt. Es zeigt sich hieran aber auch, dass die grob gefasste 41,5 % Weiterbildungsquote nochmals zu relativieren ist, wenn 65 % der Weiterbildungen innerhalb von maximal einem Arbeitstag „abgehakt“ sind.

Noch mehr Bedenkliches

Bedenklich stimmen sollte die Weiterbildungsträger die Abnahme der positiven Nutzenbewertung von absolvierten Weiterbildungen. Lag sie im Jahr 2012 noch bei 87% nahm sie kontinuierlich auf nur noch 75% im Jahr 2022 ab.
Wenig erfreulich ist auch die ungerechte Verteilung der Weiterbildungen. Wie schon in den Vorjahren nehmen vor allem Führungskräfte (zu 79%) und Fachkräfte (zu 67%) an betrieblichen Weiterbildungen teil – An- und Ungelernte dagegen kaum mehr als halb so oft (44%). Als Gründe für eine Nicht-Teilnahme an Weiterbildungen wurden, wie so oft, Zeitmangel aus beruflichen (Ø 16,5 %) oder familiären Gründen (Ø 13,3 %) finanzielle Gründe (Ø 9,6 %) oder auch die fehlende Unterstützung durch den Arbeitgeber (Ø 5 %) angegeben.

Fazit

Beim Thema Weiterbildung klaffen Selbstwahrnehmung durch Personaler und statistisch erfasste Wirklichkeit weit auseinander. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wozu es die TÜV-Studie tatsächlich braucht. Denn sie überdeckt in weiten Zügen nur die Notwendigkeit, dass Leitunugskräfte, Personaler, Mitarbeitende und Fördergeber noch mehr tun müssen, um die Weiterbildung in Deutschland voran zu bringen.

Anmerkungen
¹ Die Studie verweist in einer Fußnote selbst darauf, dass der Einbezug solcher internen Arbeitsplatzschulungen in die Weiterbildungsaktivität von anderen problematisiert wird. Wiederum andere würden darin Peer-Learning-Aktivitäten sehen, die sehr wohl als non-formale Weiterbildungen aufzufassen sind.
² Die AES-Daten haben hier eine Rundungsdifferenz von 1%-Punkt, denn 77% betriebliche plus 7% indiv. berufsbezogene Weiterbildung plus 15% Privatunterricht = 99% insgesamt).