Schlaglichter aus dem Nationalen Bildungsbericht 2024

Der Mitte Juni erschienene Nationale Bildungsbericht 2024 bietet umfassende Einblicke in die aktuelle Landschaft der beruflichen Weiterbildung und des lebenslangen Lernens in Deutschland. Hinsichtlich der Weiterbildungsbeteiligung greift er die Ergebnisse des AES-Trendberichts auf, die hier bereits in einem anderen Artikel analysiert und eingeordnet wurden. Aber es gibt auch bemerkenswerte neue Erkenntnisse:

Rückläufiger Marktanteil für mehrere Arten von Weiterbildungsanbietern

Während die betriebliche Weiterbildung unverändert zu 70,6 % von den Betrieben selbst geleistet wird, geht der Anteil fast aller anderen Weiterbildungsanbieter zurück. Die gemeinschaftlichen Anbieter (wie Berufsverbände, Innungen, IHK usw.) verlieren seit 2018 20,3 % ihres Anteils an den Weiterbildungsaktivitäten (von 14,3% in 2018 auf 11,4% in 2022). Auch die kommerziellen Anbieter müssen „Federn lassen“. Ihr Anteil verringert sich um 13,6% auf ebenfalls 11,4 % im Jahr 2022. Profitieren können davon die sonstigen Anbieter und digitale Plattformen. Zwar ist deren prozentualer Anteil an der betrieblichen Weiterbildung noch klein (3,2% sonstige Anbieter, 1,4 % digitale Plattformen). Die Wachstumsrate von 45,5 % sollte jedoch aufhorchen lassen. Bei der individuellen beruflichen Weiterbildung hat sich der Anteil der sonstigen Anbieter sogar bereits um 76 % erhöht von 7,5 % im Jahr 2018 auf 13,2 % im Jahr 2022. Hinzu kommen die digitalen Plattformen, die einen Anteil von 4,2 % an der individuellen berufsbezogenen Weiterbildung ausmachen. Der Bildungsbericht kommt daher zu dem Schluss: „Das verstärkte Aufkommen sonstiger Anbieter, auf die rund 6 % aller [Weiterbildungs-]Aktivitäten und 11 % des aufgewendeten Stundenvolumens im Jahr 2022 entfielen, deutet auf eine Dynamik in der Anbieterlandschaft hin, bei der neue Anbieter die Weiterbildungslandschaft ergänzen, während andere ihre Arbeit aufgeben[…]“.¹

Digitale Lernformate nehmen kontinuierlich zu – Deutschland hinkt aber noch immer hinterher

Gegenüber 2020 zeigt sich ein durch die Corona-Pandemie deutlich befeuerter Anstieg der digitalen Lernformate in der Weiterbildung. In der beruflichen Weiterbildung finden 37% der Weiterbildungsaktivitäten rein online statt. Hinzu kommen 19,5% hybride oder blendend-learning-Formate – was interessanterweise kaum einer Veränderung zum Jahr 2020 entspricht (19,7%). Reine Präsenzveranstaltungen haben in der betrieblichen Weiterbildung nur noch einen Anteil von 43,3%. Im Jahr 2020 lag dieser noch bei 62,5%. Der Shift von Präsenz zu Online ist mehr als deutlich. Die Zahlen zur individuellen beruflichen Weiterbildung spiegeln diesen Trend ebenfalls wider. Bei den rein betriebsinternen Schulungen ist der reine Online-Anteil sogar nochmals um zwei Prozentpunkte höher (39,5%).

Dieser Shift wird noch bedeutsamer, wenn man mitbedenkt, dass Deutschland in der Nutzung des Internets für Lernaktivitäten noch unter dem Durchschnitt der EU-27-Länder liegt! Während der EU-27-Durchschnitt bei 34% der Erwerbsbevölkerung liegt, waren es in Deutschland im Jahr 2023 nur 28%, die das Internet für Lernaktivitäten genutzt haben. Zum Vergleich: Die Niederlande (61 %), Irland (60 %), Spanien (53 %), Luxemburg und Estland (49 %) sowie die skandinavischen Länder (zw. 48,3 und 60,2 %) weisen deutlich höhere Quoten auf! Verknüpft man diese Zahlen mit der zuvor beschriebenen Änderung bei den Marktanteilen der Weiterbildungsanbieter, so kann man daraus schließen, dass innovative digitale Formate das Potential haben, neue Marktanteile zu generieren.

Deutschland ist auch unterdurchschnittlich bei den digitalen Kompetenzen

Schaut man auf die Gründe für die in Deutschland geringere Nutzung des Internets für Lernaktivitäten, so wird dieser Schluss noch plausibler. Nur 52,2% der Personen im Alter von 16 bis unter 75 Jahren besaßen 2023 mindestens basale digitale Kompetenzen. Auch hier liegt Deutschland unter dem EU-27-Durchschnitt von 56% und weit entfernt vom selbst gesetzten Zielwert von 80% bis 2030! Noch bemerkenswerter ist, „dass in Deutschland die Bevölkerung im Alter von 16 bis unter 45 Jahren deutlich seltener über mehr als basale digitale Kompetenzen verfügt als im EU-27-Durchschnitt“.² Der Anteil ist sogar gerade bei den Jüngeren gesunken! Während in Deutschland nur 21,7 % der 16-24-Jährigen und nur 27,8 % der 25-34-Jährigen mehr als basale digitale Kompetenzen besitzen sind es im EU-27-Durchschnitt 38,1% bei den 16-24-Jährigen und 39% bei den 25-34-Jährigen.³ Wie hoch dieser aber ist, Dabei brauchen wir für die Digitalisierung und für den gesellschaftlichen Zusammenhalt gerade mehr als nur basale digitale Kompetenzen!

Weiter niedrige Weiterbildungsbeteiligung der Unternehmen

Ungeachtet der allgemeinen Weiterbildungsbeteiligung von 54% der 25- bis unter 65-Jährigen und ungeachtet der in den Jahren 2021 und 2022 verbesserten wirtschaftlicher Entwicklung ist die Weiterbildungsbeteiligung der Betriebe im 1. Halbjahr 2022 mit 42 % immer noch 23,6% niedriger als vor der Corona-Pandemie (2019: 55 %). Gerade bei Betrieben mit 1 bis 9 bzw. 10 bis 49 Mitarbeitenden ist die Weiterbildungsaktivität historisch niedrig, d.h. auf dem Stand von 2001 bis 2003. Je nach Branche fällt die Aktivität sehr unterschiedlich aus: Die Informations- und Kommunikationsbranche sowie die Branche der Finanz- und Versicherungsdienstleister ist besonders weiterbildungsaktiv, was heißt, dass sie fast wieder an das Weiterbildungsniveau von 2019 anknüpfen, das schon damals weit über dem Durchschnitt lag. Besonders großes Nachholpotenzial bei der Weiterbildung haben die Bereiche Nahrung/Genuss, Beherbergung und Gastronomie, das Bau- und das produzierende Gewerbe, die Hersteller von Investitions- und Gebrauchs- sowie Verbrauchsgütern, Betriebe der Land- und Forstwirtschaft sowie der KFZ-Handel und -Werkstätten und schließlich die sonstigen Dienstleistungen.

Aber auch hinsichtlich der soziodemografischen Verteilung der Teilnehmenden gibt es Unterschiede: Arbeitslose, Menschen mit geringem Bildungsstand und Einwanderer nehmen weiterhin seltener an Weiterbildungen teil. Dafür gibt es viele individuelle und kontextuelle Gründe. Zudem haben nicht alle Gruppen die gleichen Möglichkeiten zur beruflichen Fortbildung, selbst wenn sie Bedarf sehen. Auch nutzen nicht alle Gruppen das Internet gleichermaßen als Lernort. Besonders gering Qualifizierte und Menschen über 65 beteiligen sich deutlich weniger an Online-Lernformaten. Wie schon bei der Schulbildung so schlägt sich auch bei der Weiterbildung die soziale Herkunft negativ in der Weiterbildungsbeteiligung nieder.

Qualifizierung und Gewinnung von Lehrkräften

Neu und aufschlussreich ist im Bildungsbericht das Kapitel zum Lehrpersonal in den Weiterbildungseinrichtungen: zu dessen Qualifikationen, dessen Fortbildungsaktivitäten und zu Rekrutierungsstrategien. Während 81% der Lehrkräfte einen akademischen (oder gleichwertigen) Abschluss haben verfügen nur 27% über einen einschlägigen pädagogischen Studienabschluss. Pädagogische Kompetenzen werden überwiegend in Form von i.d.R. mehreren Zusatzqualifikationen erworben (z.B. Coaching-Ausbildungen (28 %), Train-the-Trainer-Kursen (26 %) oder der Ausbildereignung nach AEVO (20 %)). Die Qualifizierungswege des Lehrpersonals in der Weiterbildung sind also überaus vielfältig. Trotz dieser disparaten und unreglementierten Qualifizierungslage nutzen die Personalverantwortlichen bei der Rekrutierung am häufigsten die Empfehlung durch vertrauenswürdige Dritte (64%) oder verlassen sich auf nachgewiesene Berufserfahrung und Zusatzqualifikationen. Die Weiterbildungsaktivität der Lehrkräfte in der Weiterbildung liegt mit 60% deutlich über der allgemeinen Weiterbildungsquote in Deutschland (54%). Aber: „Begründet wird die Teilnahme vornehmlich mit Erwartungen an die Verbesserung pädagogischer sowie didaktischer Kompetenzen, kaum dagegen mit Erwartungen an verbessertes Einkommen”.4

Der in anderen Branchen bereits vorherrschende Fachkräftemangel zeichnet sich auch im Bereich der Weiterbildung ab. Zwei Drittel der Bildungsanbieter berichten über Schwierigkeiten bei der Rekrutierung von Lehrkräften. Volkshochschulen sind dabei am stärksten betroffen und leiden zudem noch immer unter der Abwanderung von Honorarkräften während der Corona-Pandemie. Der Fachkräftemangel zieht nach sich, dass zur “Sicherung der Qualität professionellen Handelns […] in allen Bildungsbereichen die vorbereitende und begleitende Qualifizierung und Beratung von Seiten- und Quereinsteigenden eine große Herausforderung und Notwendigkeit dar[stellt], die nur mit einem weiteren Ausbau des Angebots von und der Beteiligung an berufsbegleitender Fortbildung bewältigt werden kann“ (S. 22). Neben und zusätzlich zur (Neu-)Qualifizierung von Lehrkräften braucht es zur Deckung der Fachkräftelücke weitere, neue und kreative Lösungen jenseits des Lehrpersonals wie z.B: erweiterte Bildungsräume oder „Unterstützungsmaßnahmen pädagogischer Handlungsfelder, z. B. durch die stärkere Einbeziehung von KI- gesteuerten Systemen“.5

Herausforderungen als Fazit

Mit Blick auf die Ziele von Weiterbildung in der Entwicklung individueller, beruflicher und allgemeiner lebensbezogener Handlungskompetenzen, in der Sicherung von Humanressourcen und in der Förderung von gesellschaftlicher Teilhabe und Chancengleichheit formuliert der Nationale Bildungsbericht 21 lesenswerte Herausforderungen, von denen einige hier abschließend wiedergegeben werden sollen6:

  • Aneignung von Kompetenzen zur Gestaltung nachhaltiger Arbeitsstrukturen und -prozesse
  • Aneignung von Kompetenzen zur Anwendung und Gestaltung digitaler Technologien
  • Nutzung von Assistenzsystemen zur Kompensation von Behinderungen
  • Erhöhung der Weiterbildungsbeteiligung benachteiligter Gruppen durch regionale Vernetzung
  • Abbau struktureller Diskriminierung im Zugang zu Aus- und Weiterbildung
  • Entwicklung abschlussorientierter, modularer Aus- und Weiterbildungswege für Personen mit Startnachteilen
  • Anerkennung von Abschlüssen aus den Herkunftsländern; Validierung informell und non-formal erworbener Kompetenzen
  • Entwicklung von Berufsbildungsstrategien für besonders von Transformation betroffene Regionen
  • Stärkung und Ausbau von Bildungsangeboten mit einer Verzahnung von beruflicher Ausbildung und hochschulischer Bildung
  • Integration technologieunterstützter Arbeits- und Geschäftsprozesse in Berufsbilder, Curricula, Lehre und Prüfung
  • Gewährleistung der Aktualität von Curricula und Prüfungsanforderungen in innovativen Branchen

Anmerkungen
1 Nationaler Bildungsbericht 2024, S. 235.
2 Nationaler Bildungsbericht 2024, S. 247.
3 Natürlich können Mentalitätsunterschiede in der Selbsteinschätzung in den einzelnen Nationen auch Auswirkungen auf diesen Vergleich haben. Die Differenz von mehr als 10 Prozentpunkten zum EU-27-Durchschnitt kann dies aber vermutlich nicht erklären.
4 Nationaler Bildungsbericht 2024, S. 251.
5 Nationaler Bildungsbericht 2024, S. 27.
6 Nationaler Bildungsbericht 2024, S. 266.